Bella ist dankbar |
Man muss nicht jeden Hund ins Herz schließen wollen, den man etwas besser kennt. Aber Bella macht es einem, obwohl sie sehr anstrengend ist, leicht. Denn sie sehnt sich nach Nähe, nach Schmuseeinheiten und nach Geborgenheit.
Bella wurde sehr wahrscheinlich übel verdroschen
Der Verdacht liegt nahe, dass Menschen Bella sehr wehgetan haben. Einmal, ganz zur Anfang, piselte sie bei mir in der Wohnung. Ich sah es, nahm die Leine und kam auf sie zu, damit wir unverzüglich nach draußen gehen. Sie machte sich daraufhin ganz klein, die Angst stand ihr im Gesicht. Beim zweiten Mal trainierten wir. Ein fremder, mit aggressiven Hunden seit zig Jahren arbeitender Trainer kam auf sie zu, während sie den Maulkorb an hatte. Natürlich griff sie ihn an. Er währte sie mit seinem Bein/Knie ab, deutlich, aber ohne ihr dabei Schmerzen zuzufügen. Daraufhin fing sie ca. 10 Sekunden lang zu lamentieren an, als hätte man ihr furchtbar wehgetan, was definitiv nicht der Fall war. Auch dieser Vorfall zeigt, dass sie Schmerzen erwartet hatte. Stattdessen hat der Trainer die leine aufgenommen und sie danach, als sie folgte, gelobt. Heute trat ich ihr schließlich aus Versehen kurz auf die Pfote. Auch das war nicht weiter schlimm. Doch Bella war auch hier fast eine Minute lang irritiert, schaute mich erschrocken an, ob da noch mehr unangenehmes kommt. Natürlich nicht, statt dessen habe ich sie aufgefangen.
Alle drei Vorfälle zeigen, dass Bella wohl nicht nur mal einen Schlag abbekam, sondern (speziell Vorfälle zwei und drei) mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig schmerzhaft verdroschen worden sein muss. Deshalb reagiert sie nicht einfach ablehnend oder ängstlich Fremden gegenüber sondern hochaggressiv und bei Annäherungen panisch, wodurch sie jedoch ihre Unsicherheit verbergen möchte. Denn in Wirklichkeit, sobald man überlegen Stärke zeigt, wird sie unterwürfig.
Dieses Video zeigt, dass Bella mit Fremden Hunden sehr gut kann. Auch mit Sharik. Leider ist Sharik mein Hund und das ist Bella ein Dorn im Auge. Sie mag nicht teilen. Schlimmer noch: Sharik bleibt natürlich meine Nummer 1. Ich kann nicht Bella bevorzugt behandeln. Sharik ist schon genügend verunsichert durch Bellas Art, sich dazwischen zu drängen, abzudrängen, aufzusteigen, den Fang und die Zähne (wenn auch sanft) einzusetzen.
Daher sollte der zukünftige Hundehalter keinen Hund haben, denn dann entstehen Spannungsmomente, die früher oder später eskalieren können. Ich trenne beide Hunde die meiste Zeit. Ganz besonders, wenn ich mit beiden hintereinander schmuse.
Zähne
Ihre Zähne setzt Bella sehr gerne und immer wieder, wenn auch sanft ein. Das wollen möchte ich aber nicht. Nicht bei einem solchen Hund. Daher breche ich meistens ab, sobald sie beim Spielen oder Schmusen ihre Zähne vermehrt einsetzt.
Ich weiß aber auch, dass sie nicht beißen würde. Daher spiele ich gelassen ab und an mit Ihrem Fang, um das Vertrauen zueinander zu stärken und lasse mich dann gezielt "ankauen". Aber eben nur dann.
Ich bin Anfänger was Free Shaping angeht. Nur für Bella habe ich meinen Clicker zum ersten Mal aus der Schublade hervorgeholt und mit beiden Hunden Free Shaping gemacht. Free Shaping bedeutet, dass ich einen Hund mit dem Clicker für kreatives Verhalten belohne. Ich klicke dann, wenn mir gefällt, was ich sehe. Dabei bietet mir der Hund, anfangs richtig angeleitet, verschiedene Aktionen und Verhaltensweisen an. Und ich klicke. Oder eben nicht.
Beide Hunde kannten den Clicker noch gar nicht. Sie waren genauso Clicker-Anfänger wie ich auch.
Bei Sharik hat Free Shaping nach nur einer Minute mit dem Clicker dazu geführt, dass er mir Sitz, Platz, ein Pfötchen einwinkeln beim Platz, Bellen, Seitenliegen und vieles mehr angeboten hat. Sharik ist aber ein Profi, der ca. 70 Kommandos und Tricks kennt und von mir täglich in unterschiedlichster Weise gefordert wird.
Bei Bella hat es 3-4 Sitzungen a 3-5 Minuten gedauert, bis sie auftaute und mir mehr als kurzen Blickkontakt und Sitz anbot. Das Video zeigt die vierte oder fünfte Sitzung. Die Blicke werden länger, Bella wird kreativer. Ich finde, es freut das Auge, das zu sehen.
Futteraggression
Bella ist futteraggressiv. Lässt man etwas fallen, wird sie wild und möchte es so schnell wie möglich aufnehmen.
Wir haben zunächst daran gearbeitet, dass sie lernt, sich zu beherrschen. Impulskontrolle. Zunächst noch recht einfach mit einem Napf vor der Nase.
Anschließend deutlich schwieriger: Bella rechts, Sharik links, in der Mitte immer wieder ein Stück Fleischwurst. Mal darf er aufnehmen, mal sie. Auf dem Video sieht man mehrere Dinge: Sharik kann langsam aufnehmen, geht auch wieder zurück, hat dabei aber auch immer Bella im Auge, weil sie sie schon kennt. Deshalb helfe ich etwas, indem ich meine Hand abgrenzend ausstrecke. Bella dagegen prescht immer wieder schnell nach vorne und geht auch nicht gerne zurück.
Hier muss noch mit Bella weiter geübt werden, damit sie gelassener die Stückchen aufnimmt. Die Hast führt nämlich ganz schnell bei zwei Hunden zu einer Keilerei.
Ausgeben
Bella gibt nichts aus, was sie im Maul hat. Die Futteraggression kann genauso wie die Verweigerung der Ausgabedaher kommen, dass sie in Rumänien ein Straßenhund war. Da galt es ggf. alles schnell zu sichern, was sie für wertvoll hielt.
Bella lernt auszugeben. Wir sind jedoch noch recht am Anfang. Da sie durch einen Befehl niemals etwas ausgeben würde und ein Tauschgeschäft etwas völlig anderes ist, drücke ich ihr sehr sanft auf die Lefzen links und rechts in der Gegend der Backenzähne (manche Trainer machen das weiter vorne am Fang, ich nicht). Meine Finger rutschen dabei immer weiter zwischen die Backenzähne, sobald sie etwas weiter aufsperrt. Bis schließlich die Ressource herausfällt oder Bella sie gar für verloren hält und ausgibt. Die gesamte Zeit sage ich dabei "gib ... gib ... gib"
Dann erhält sie sofort als Belohnung etwas Leckeres, z.B. etwas Käse und darf ihre Ressource aber sofort danach wieder haben.
So lernt sie: es lohnt sich, auszugeben und es wird mir nichts weggenommen.
Bella kann an Menschen vorbei
Das nächste Video zeigt, dass Bella, eng geführt, an vielen Aufregern ohne Aggression vorbei kann: Bälle, Kinder, Fahrräder, Menschenmengen.
Was Bella derzeit nicht kann: Menschen kommen zu nah, während wir stehen oder sitzen. Hierzu fehlt mir jedoch ein Video, damit man sieht, wie sie ausrastet. Doch es wird besser. Die Ausraster sind bereits milder, kürzer und sie ist dabei besser absprechbar und kann immer öfter durch ruhige Stimme und Handauflage runterkommen.
Ich wirke bewusst nicht mit Stärke auf sie ein. Natürlich wäre das ebenfalls ein möglicher Weg. Meine Erfahrung mit aggressiven unsicheren Hunden ist jedoch, dass Gelassenheit und Vertrauen sich mit der Zeit sehr positiv auswirken und der Hund seine Aggression immer mehr abbaut und in immer kritischeren Situationen gelassen bleibt. Man sieht bei Bella diese Tendenz bereits deutlich.
Ausraster und der Griff
Flippt sie dennoch mal völlig aus, greife ich auch da nicht zur Stärke sondern zum Griff. Anders als in dem folgenden Video greife ich von hinten in die Mähne von Bella, hebe sie hoch und drehe sie vom Auslöser weg, bis sie sich beruhigt hat. Was anfangs sehr lange gedauert hat, wird nach und nach immer einfachen. Teilweise - je nach Erregungslevel - reicht es schon aus, die Mähne oder ihren Kopf nur noch zwischen meine Hände zu nehmen und sie fährt bereits runter.
Freilauf und andere Hunde
Wir waren gemeinsam in der Nähe von Berlin. Hier, in einem Waldgraben konnte Bella mit Sharik und Manni, einem Fremdhund, frei und ohne Maulkorb laufen. Und eine Freundin war dabei, die von Bella nach nur einem Tag soweit akzeptiert wurde, dass wir alle gemeinsam mitlaufen konnten. Für Bella war sie keine Bedrohung mehr und konnte sogar von ihr gerufen werden (kam dann aber zu mir angelaufen statt zu ihr :-).
Die Hunde sind hier an der Leine, weil uns gegenüber eine weitere Frau stand, sie hatte 5 andere Hunde dabei und machte uns eben dieses Foto. |
Bella ist schwierig, aber dennoch ein Hund fürs Herz
Mut zur Hässlichkeit am Morgen: Seit ein paar Tagen begrüßt mich Bella jeden Morgen mit Zärtlichkeiten. Sie steigt mit zwei Pfoten aufs Bett und legt sich einfach auf meine Brust. Oder schleckt mich ab. Das Schlecken (= Video) ging eigentlich ganze zwei Minuten lang, aber ich dachte mir, ein paar Sekunden reichen und hab's geschnitten.
Ich kneife lediglich die Lippen zusammen, lasse das Lecken sonst zu. Das Schmusen sowieso.
Erster großer Schritt zum Futteraggressionsabbau getan
Heute war es dann so weit. Ich kann Fleischwurststückchen Bella vor die Nase werfen und Flips und sie geht nicht ran. Man muss sie manchmal noch ermahnen, noch ist der Impuls nicht immer unter Kontrolle aber der Unterschied ist schon riesig zu vorher. Video folgt.
Damit ist die größte Hürde der Futteraggression genommen. Die Befürchtung, dass bei irgendeinem Futterstück Bella vorprescht und mit Sharik ein Kampf beginnt, sinkt damit erheblich.
Vielen Dank für die sehr sehr interessante und gute Geschichte einer kommunikativen Erziehung. Das gibt mir Hoffnung, dass es mit unserem vielleicht auch noch mal klappt. Ich hatte das Gefühl, ich finde meinen Hund beschrieben...
AntwortenLöschenLG, Arta