Dienstag, 18. März 2014

Rudelstellungen - mal sachlich und wissenschaftlich betrachtet

Das Buch zu den Rudelstellungen
von Barbara Ertel.
Rudelstellungen ist derzeit das Schlagwort schlechthin. Jeder schreibt etwas dazu: Thomas Riepe, Thomas Baumann, Meike Maja Nowak ordnet die Hunde in Ihrer Sendung bei ZDF ebenfalls immer ein. Frau Barbara Ertel hat mit ihrem Wissen innerhalb 3 Jahre einen Trend verursacht und eine ebenso begeisterte wie unmündige Fangemeinschaft aufgebaut.

Viele (Mehr)Hundehalter fragen sich: was ist dran an diesen Stellungen?  Und sind verunsichert: Brauche ich dieses Wissen? Hilft es mir? Löst dieses Wissen bestimmte Probleme?

Der Artikel von Thomas Riepe zu diesem Thema ist leider sehr enttäuschend ausgefallen: unsachlich und emotional, man muss ihn nicht gelesen haben. Thomas Baumann geht sachlich auf den Aspekt vererbte Rudelstellungen in einem Statement ein und betrachtet dabei vor allem zwei Dinge:
  1. Den Doppelbesatz einer Stellung
  2. Die Fähigkeit der Hunde, durch Umwelteinflüsse zu lernen: den Phänotyp.
Hannah Maxellon hat Ihre Erfahrung bei einem Seminar bei Frau Ertel geschildert, leider recht polemisch. Doch die Erfahrungen, die sie mit Frau Ertel schildert, geben das wieder, was ich von vielen Trainern gehört habe: Frau Ertel ist unangreifbar, Abweichungen von ihren Einstufungen werden ebenso wenig geduldet wie Widersprüche, kritische Nachfragen oder unangepasstes Verhalten. Das gilt bei Gesprächen ebenso wie in ihrem Forum.

Ebenso wie Baumann bestreite ich die verschiedenen Verhaltenstypen nicht. Was fehlt ist eine Betrachtung aus der Sicht der Evolutionstheorie. Die Strategie der sieben Stellungen müsste so stark dominant gewesen sein, dass sie alle anderen Verhaltensweisen völlig verdrängt hat. Das muss so sein, da ja jeder heutige Hund auf der ganzen Welt einer dieser Stellungen zugeordnet werden kann. Somit sind alle anderen Verhaltensweisen irgendwann mal restlos ausgestorben/verdrängt worden. Es gibt mehrere Punkte, die gegen diese Theorie sprechen.

1. Es ist uns weder bei frei lebenden Hunden noch bei Wölfen ein solches Verhalten bekannt. Wenn es so evolutionsstabil wäre also einen so klaren Vorteil für das Überleben brächte, dann würden auch heute noch Wölfe oder Hunde sich danach orientieren und organisieren. Ich wüsste nicht, dass sie das tun. Wölfe definitiv nicht (s. z.B. Blochs Forschungen). Die frei lebenden Hunde in Rumänien müssten dann vermehrt zu siebt auftreten. Ist das der Fall? Nein.

2. Ein anderer Punkt ist die Komplexität dieser Rudel. Die Natur ist immer um einfache effiziente Lösungen bemüht. Eine Struktur, die aus 7 komplementären Stellungen besteht kann nicht als einfach bezeichnet werden. Es müssten sich immer wieder 7 Hunde zusammen finden, die einander perfekt ergänzen. Welch ein Umstand, um zu überleben. Und genau dieser Umstand soll diesen Hunden einen solchen Überlebensvorteil verschafft haben, dass sie alle anderen Hunde verdrängt haben? Undenkbar.

3. Dann gäbe es da noch die Genetik. Auch diese widerspricht der Theorie. Es gilt heutzutage als erwiesen, dass die Selektion am Individuum stattfindet und nicht gruppenbezogen ist. Das aber bedeutet, dass ggf. zwar das 7stellige perfekte Rudel eine deutlich höhere Überlebenschance haben könnte, aber die einzelnen Hunde dennoch für sich vererben (am Individuum eben). Wenn das so ist, dann müsste die Natur darum bemüht sein, alle 7 Stellungen, damit diese Perfektion bestehen bleibt, gleichermaßen zu verteilen. Nun ist die Vererbung an die Weitergabe der Gene gebunden. Optimaler Weise würden dabei zwei Hunde derselben Rudelstellung Nachkommen zeugen. Was aber der Einzigartigkeit jeder Rudelstellung widerspricht. Zwei Rudel treffen sich ja nicht, um gezielt pro Stellung miteinander Welpen zu zeugen. Also müsste die Gleichverteilung trotz beliebiger Kreuzungen der Gene, wobei die Gene immer mehr verwaschen werden, für alle 7 Stellungen gewahrt bleiben. Hier endet leider mein bescheidenes Wissen, aber ich glaube nicht, dass eine solche Vermischung aller Stellungen eine Gleichverteilung garantieren würde. Ein Genetiker könnte das sicherlich exakt begründen. Keine Gleichverteilung = keine ESS = kein Verdrängen = Widerspruch.

4. Und schließlich: Wenn, wie auf der Seite http://www.rudelstellungen.eu, davon ausgegangen wird, dass bei einem Wurf von 7 Welpen (zumindest bei Verpaarungen von MBH und VLH) jeder der 7 Welpen in eine bestimmte Stellung hineingeboren wird, dann müsste das bedeuten, dass die Verteilung der Gene nicht zufällig ist. Vereinfacht erklärt wären dann also sämtliche von der Biologie erforschten Vorgänge von der Meiose bis hin zur Ei- und Samenzellfindung und folgender Rekombination der Gene Humbug, denn es müsste etwas geben (eine höhere Macht oder etwas noch unerforschtes im Hundekörper), das dafür sorgt, dass es nach RS perfekte Würfe gibt.


Maria Hense hat in Kenntnis dieser Punkte noch ergänzend darauf hingewiesen, dass eine solche starre Struktur die über Jahrtausende so erfolgreichen sozialen Hunde stark einschränken würde. Hier drängt sich erneut der von Thomas Baumann erwähnte Phänotyp auf, wonach zusätzlich zu den vererbten Eigenschaften auch die Umwelteinflüsse das letztendliche Verhalten eines Hundes definieren. 

Fazit
Das sind so viele Widersprüche, dass ich lediglich für plausibel halte, dass es Kommunikationstypen unter den Hunden gibt, die miteinander in einer bestimmten Reihenfolge gut harmonieren. Mehr aber auch nicht.

Würde Barbara Ertel dieses Wissen auf diese Weise weiter geben, wäre sie viele Kritiker los und könnte immer noch Bücher verkaufen und Seminare geben. Denn offenbar macht es Sinn, sich mit den Kommunikationstypen auseinander zu setzen und diese bei der Arbeit mit mehreren Hunden zu berücksichtigen. Ohne jedoch ein Dogma daraus zu machen, welches über ein erfolgreiches oder ein unmögliches Zusammenleben von Hunden entscheidet.

4 Kommentare:

  1. Ein gut geschriebener Artikel ohne Zweifel, aber überraschend ist die Schlußfolgerung nicht, wenn man das "About" liest: "Arbeiten, Forschungsergebnissen und Empfehlungen von ..."
    Das von Th. Baumann eingewendete Außerachtlassen des Phänotyps bei RS ist nicht richtig, ja gänzlich falsch. Käme jemand daher, und würde behaupten, dass ein Lebewesen - welcher Art auch immer - ohne Einfluss bleibt, egal wie seine Lebens- und Umwelteinflüsse sind, wäre das ein Irrwitz, da stimme ich zu. Aber stell dir mal vor, du lebst in einem Land, wo du nur von Fastfood ernährt werden würdest. Was hätte das für Auswirkungen auf dich, deinen Körper und deine Psyche, wenn deine Umwelt nicht aus Natur sondern dein Lebensraum in einer betonierten Stadt liegen würde? Und genau hier hat BE ihre Probleme mit Hunden (SW: stellungsschwach-/stark usw.), wie auch ich meine Probleme hätte mit jedem Lebenwesen, dass ich in (s)einen Genotyp quetschten müsste. Es ist nur logisch, dass man bei Hunden von einer hohen Plastizität sprechen kann. Wäre dem nicht so, gäbe es keine Allgemeinerungversuche in der Hundewelt. Tiere sind eben doch noch näher an der Natur als der Mensch.
    Das könnte eine interessante Diskussion werden, ich hoffe, es beteiligen sich viele daran, hege aber meine Zweifel. Meinte 50 Cent hast du. :-)

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  2. Danke Alexander für Dein Kommentar.

    Ob BE um die Umwelteinflüsse weiß oder nicht, spielt keine Rolle, wenn sie Hunde kurz beurteilt und anschließend schon mal die Empfehlung gibt, einen davon wegen Doppelbelegung abzugeben oder einen weiteren wegen Lückenschließung anzuschaffen. Genau diese Vorgehensweise kritisiert der Baumann und ich pflichte ihm da bei.

    Die Menschen sind selten dumm. Auch BE wird's (unbekannterseite) nicht sein. Dumm (hier wäre fahrlässig besser) ist aber oft, wie manche mit ihrem Wissen umgehen.

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  3. Deswegen kommt jetzt auch ein etwas unpolemischer und seriöserer Beitrag. In Zukunft mal Zeitung lesen!!

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  4. Leider hat das ZDF im Moment andere Prioritäten... Hier gibt es neue Hintergrund-Infos zu Rudelstellungen bei Hunden: http://rudelstellungen-klargestellt.de

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